Plädoyer für eine mutige Reform des Ehegattensplittings

5 Thesen, warum wir auf die Tube drücken müssen und eine Abschaffung des Splittings nur für Neu-Ehen nicht reicht

Seit es die Grünen gibt, fordern wir die Abschaffung des Ehegatten-Splittings. Noch immer diskutieren wir über den Weg – weg von einer Subventionierung des Trauscheins, hin zur Förderung von Kindern und Familien, unabhängig von der „Form“, in der die Eltern zusammen leben. Auch wenn bis dato alle Reformbemühungen nicht gefruchtet haben, sollten gerade wir Grünen nicht diejenigen sein, die den Kopf in den Sand stecken. Im Gegenteil: Wir sollten mutig voran gehen.

Altersarmut ist weiblich

Die Rentenkommission der grünen Partei hat vor zwei Wochen ihren Abschlussbericht vorgelegt. Er zeigt: Altersarmut ist heute schon weiblich und wird es in Zukunft noch stärker sein. Schon jetzt beträgt das Rentenniveau von Frauen in etwa nur 60 Prozent des Niveaus von Männern. Und: ausgleichende Maßnahmen im Rahmen des Rentensystems wirken nur mäßig. Um Altersarmut von Frauen wirkungsvoll zu begegnen, brauchen wir eine eigenständige Existenzsicherung – ein Leben lang.  Das Ehegattensplitting steht einer eigenständigen Existenzsicherung von Frauen diametral entgegen. Es setzt Anreize, die Ehe „arbeitsteilig“ auszurichten. Je größer die Einkommensunterschiede zwischen den Ehepartner*innen, desto höher der Splittingvorteil. Dies führt zwar zu einer kurzfristigen Erhöhung des Haushaltseinkommens, jedoch zu krassen Ungerechtigkeiten: Frauen fehlt es häufig an Verfügungsmacht über das Einkommen, das hauptsächlich vom Mann erwirtschaftet wird. Die langfristige Arbeitsteilung schmälert die Chancen auf eine existenzsichernde Beschäftigung und dies führt dazu, dass Frauen nicht oder nur wenig in die Rentenversicherung einzahlen. Langfristig sind die Nachteile größer als der Splittingvorteil.

Die Abschaffung des Splittings für Neu-Ehen reicht nicht aus. Das würde der Realität gerade in Bezug auf die drohende Altersarmut von Frauen nicht gerecht. Als feministische Partei müssen wir uns klar gegen eine Steuerpolitik positionieren, die dazu führt, dass Frauen finanziell abhängig sind und bleiben.

Für  Partnerschaftlichkeit statt Alleinverdiener-Ehe

Wir wollen, dass Menschen so leben können, wie sie es sich selbst wünschen. Ein Großteil der Eltern möchte Erwerbs- und Familienarbeit partnerschaftlich aufteilen; nur ein geringer Teil kann dies im Alltag umsetzen.  Auf dem Bundesparteitag im vergangenen Jahr haben wir zurZeitpolitik wichtige Beschlüsse gefasst, um mehr Partnerschaftlichkeit zu unterstützen. Um einen gesellschaftlichen Wandel voranzutreiben, müssen aber auch die Rahmenbedingungen stimmen. Partnerschaftlichkeit zu unterstützen und bei der Reform des Ehegattensplittings nur auf Neu-Ehen zu setzen, das passt nicht zusammen. Denn eine solche Reform würde alle bisherigen Ehen außen vor lassen. Was ist mit denen, die heute heiraten oder vor zwei Jahren geheiratet haben und bei denen das Ehegattensplitting in Kombination mit Minijobs und ungleichen Löhnen weiterhin eine partnerschaftliche Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit blockiert? Sollen wir die heute 30- bis 40-jährigen einfach ignorieren? Wir finden nicht.

Bis dass der Tod euch scheidet …

Mehr als jede dritte Ehe wird geschieden. Und oft steht die Frau dann dumm da. Es zeigt sich, dass Weichenstellungen, die im Vertrauen auf die Ehe getroffen wurden,  nicht für ein ganzes Leben funktionieren. Genau das war aber die Annahme bei Einführung des Ehegattensplittings: Dass der Ehemann sein Einkommen sein Leben lang mit seiner Ehefrau teilt. Die Realität ist eine andere: Nach einer Scheidung finden sich Menschen in anderen Lebenskonstellationen wieder – allein lebend, allein erziehend oder mit neue*r Partner*in. Im Gegensatz zum Steuerrecht bezieht sich das Unterhaltsrecht schon seit 2008 nicht mehr auf die lebenslang andauernden „Alleinverdiener- und Versorgerehe“. Das 2008 reformierte Unterhaltsrecht sagt klar und deutlich: nach der Scheidung, ist man wieder für sich selbst verantwortlich und das sogar, wenn man kleine Kinder zu versorgen hat. Da ist es umso verheerender, wenn Frauen dank Ehegattensplitting zu lange aus dem Job raus waren oder nur in  Minijobs gearbeitet haben. Wir haben dem neuen Unterhaltsrecht vor acht Jahren zugestimmt und niemand will hier die Uhr zurück drehen. Aber wer A sagt, muss auch Abschaffung sagen – und zwar des Ehegattensplittings.

Familien sind jetzt schon bunt: Kinder und Verantwortungsübernahme fördern und nicht den Trauschein

Familie ist da, wo Menschen dauerhaft Verantwortung übernehmen. Es ist nicht zu erklären, warum die Ehe als Form des Zusammenlebens privilegiert wird, Lebensgemeinschaften jedoch lediglich Einstandspflichten im Sozialrecht auferlegt werden. Familienpolitisch ist das Ehegattensplitting längst nicht mehr zu begründen. Jedes Kind ist für uns gleich viel wert. Das Ehegattensplitting ist deshalb für uns keine Familienförderung – es profitieren lediglich Paare, die über ein entsprechend hohes Einkommen verfügen und auch solche, die keine Kinder haben. Paare, die mit Kindern und ohne Trauschein leben oder Alleinerziehende profitieren nicht vom Splitting. Wir wollen alle Kinder fördern, nicht den Trauschein.

Wer, wenn nicht wir?

Das Ehegattensplitting ist schon lange nicht mehr zeitgemäß. Entstanden in den 50-er-Jahren als die Alleinverdiener-Ehe vorherrschend war, bietet es heute keine Antwort mehr – weder dafür, wie Partnerschaftlichkeit gelebt werden kann, noch dafür, wie Familien unterstützt werden können.

Wir Grüne sind aus der Frauenbewegung entstanden und stehen wie keine andere Partei für die Gleichstellung von Frauen. Dabei haben wir viel erreicht. Gerade jetzt, wo die AfD erstarkt und den gesellschaftlichen Rollback erzwingen will, müssen wir Grüne uns umso deutlicher positionieren: Für mehr Gleichberechtigung von Frauen und für die Akzeptanz verschiedenster Lebensformen. Bei der Abschaffung des Ehegattensplittings ernst machen –  das ist das richtige Signal gegen Rollback und AfD. Mutig voran, nicht in Tippelschritten wie die SPD.  Und es wäre auch ein Signal für unsere Verbündeten in der Zivilgesellschaft, dass wir frauenpolitisch gemeinsam an einem Strang ziehen.

Von GESINE AGENA, KATJA DÖRNER, ULLE SCHAUWS

Gesine Agena, Mitglied im Bundesvorstand und frauenpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen / Katja Dörner, Stellvertretende Fraktionsvorsitzende der grünen Bundestagsfraktion / Ulle Schauws, Sprecherin für Frauenpolitik der grünen Bundestagsfraktion

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