Rede zum 8. Mai – Tag der Befreiung als gesetzlicher Gedenktag

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

der Bundestagspräsident hat in seiner Rede im letzten Jahr den 8. Mai unmissverständlich als „Tag der Befreiung“ bezeichnet und dafür viel Zustimmung und Applaus – von allen Seiten bekommen. Leider ist dieses Verständnis des 8. Mais hier im Deutschen Bundestag immer noch kein Konsens. Die menschenrechtpolitische Sprecherin der Unionsfraktion stellt in Interviews und in ihren berüchtigten Twitter-Tweets immer wieder in Frage, dass der 8. Mai ein Tag der Befreiung war.

Ich möchte deshalb hier nochmals in aller Deutlichkeit sagen – auch gerichtet an die Unionsfraktion, die offenbar kein Problem mit dem Revisionismus ihrer Sprecherin für Menschenrechte hat: Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung‚ für alle Menschen, die unter dem NS-Terror zu leiden hatten. Auch für die Menschen hinter dem Eisernen Vorhang. Hier geht es nicht darum, das Unrecht und die Unfreiheit kleinzureden, die es im Anschluss gegeben hat. Aber die Verbrechen des Holocaust sind historisch einzigartig und lassen sich nicht mit anderen Diktaturen und ganz sicher auch nicht mit der DDR-Diktatur, gleichsetzen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb ist es gut und wichtig, das uns der 8. Mai – über dreißig Jahre nach Richard von Weizäckers wegweisender Rede immer wieder daran erinnert, Dankbar zu sein für die Befreiung von Krieg, und Dankbar zu sein,für das Ende der Vernichtungspolitik der NS-Diktatur. Das beutet im Umkehrschluss keinesfalls, die Augen vor den Leiden und den Schrecken der vielen Millionen Vertriebenen zu verschließen. Flucht, Gewalt, Ausgrenzung und der tägliche Kampf ums Überleben – all das gehört zur Erfahrung von Millionen deutscher Familien. Auch ihre Erfahrungen müssen Teil der deutschen Geschichte sein. Doch es braucht dafür immer den historischen Kontext.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, nun zu ihrem Antrag, den sie hier zum wiederholten Male stellen. Wie wichtig der 8. Mai als Tag der Befreiung ist, habe ich bereits deutlich gemacht. Ob ihr Anliegen, ihn zum gesetzlichen Gedenktag zu erheben, der richtige Weg ist, um seiner Bedeutung gerecht zu werden, darüber gilt es jetzt zu sprechen. Wir haben bereits den 27. Januar – auf Initiative von Antje Vollmer hin – zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus erklärt. Er ist inzwischen in unserer Erinnerungskultur tief verankert und das ist gut so. Denn die Verantwortung, die sich aus der deutschen Geschichte heraus ergibt, ist leider keine Selbstverständlichkeit, sondern muss immer wieder aufs Neue erstritten werden. Das zeigt uns zum einen der Blick zurück: Die kritische Aufarbeitung des Nationalsozialismus ist von der Zivilgesellschaft mühsam gegen den Staat erkämpft und durchgesetzt worden. Wichtige Orte des Gedenkens, wie das NS-Dokumentationszentrum Topographie des Terrors oder das Holocaustmahnmal, wurden durch bürgerschaftliches Engagement initiiert. Und das zeigt uns auch der Blick ins Heute: der fortbestehende Antisemitismus, der bis in die Mitte der Gesellschaft hinein reicht, der weit verbreitete antimuslimische Rassismus, oder die vielen aktuellen Angriffe auf Flüchtlingsheime – sind dafür nur einige aktuelle Beispiele. Erst letzte Woche wurden im sächsischen Freital fünf mutmaßliche Rechtsterroristen festgenommen. Die Gruppe soll im vergangenen Herbst auch zwei Anschläge auf Asylbewerberheime verübt haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier heißt es, Demokratie und Menschenrechte tagtäglich ganz konkret zu verteidigen. Dafür braucht es aus meiner Sicht vor allem eine engagierte gesellschaftliche Auseinandersetzung, aber nicht unbedingt einen weiteren offiziellen Gedenktag.
Und liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir genau hinschauen, finden wir leider auch immer noch weiße Flecken in unserem Gedenken: Zuletzt wurden die sowjetischen Kriegsgefangenen – nach jahrelangen Debatten – endlich entschädigt. Aktuell engagieren sich KünstlerInnen und AktivistInnen für die Anerkennung der Diskriminierungserfahrungen der sogenannten Asozialen im „Dritten Reich“. Lassen Sie uns lieber darüber reden, wie wir diesem Unrecht endlich angemessen gedenken können. Denn mir ist ein lebendiges Gedenken von unten, das sich bemüht, noch immer bestehende Lücken zu schließen – wichtiger – als ein weiterer offizieller Gedenktag.