Große Koalition: Ein bisschen Diskriminierung muss sein

Ulle Schauws, MdB und Sven Lehmann, MdB, Sprecherin und Sprecher für Queerpolitik der grünen Bundestagsfraktion, kommentieren die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage zu „Ein Jahr Ehe für Alle“:

„Ein Jahr nach der Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare versucht die Bundesregierung, über das Gesetz zur Umsetzung der Ehe für Alle die Diskriminierung von lesbischen und schwulen Paaren fortzusetzen.  Ziel des Gesetztes zur Ehe für Alle war „die europa- und verfassungswidrige Diskriminierung rückwirkend zu beseitigen.“ Deshalb müssten nach dem im Jahr 2017 ausgedrückten Willen des Bundestages soziale und steuerrechtliche Entscheidungen neu getroffen werden.  Nachdem das SPD geführte Bundesfinanzministerium die rückwirkende Gleichstellung im Steuerrecht gerade aktiv verhindert, versucht die Koalition nun den Gesetzeswillen von 2017 mit dem neuen Gesetz umzudeuten.
Danach werden lesbische und schwule Paare  ihr Recht auf dem Klageweg nicht mehr erstreiten können. Und das kurz nachdem das erste Finanzgericht zugunsten eines Paares entschieden hat. Auch für Regenbogenfamilien tut die große Koalition nichts. Zu den erforderlichen Anpassungen im Abstammungsrecht, die in erster Linie den Kindern zu Gute kommen würden, hat eine Meinungsbildung der Bundesregierung noch nicht einmal stattgefunden. Ein Jahr nach der Ehe für Alle fällt die Große Koalition hinter das Gesetz von 2017 zurück und ignoriert weiterhin  Kinder in den Regenbogenfamilien.“

Zum Hintergrund:
Artikel 3 Absatz 2 des sog. Gesetzes zur Ehe für alle (Bundestagsdrucksache 19/6665) legt fest, dass Lebenspartner, die ihre Lebenspartnerschaft in eine Ehe umwandeln, so behandelt werden, als ob sie am Tag der Begründung ihrer Lebenspartnerschaft geheiratet hätten. Ziel dieser Regelung ist es, die europa- und verfassungswidrige Diskriminierung rückwirkend zu beseitigen (vgl. Begründung Bundestagsdrucksache 18/6665). Daraus folgt, dass bestimmte sozial- und steuerrechtliche Entscheidungen neu getroffen werden müssen.
Während es beim Familienzuschlag bei der Umsetzung dieser rückwirkenden Gleichstellung bislang keine Probleme gab, blockiert das SPD-geführte Bundesfinanzministerium die rückwirkende Gleichstellung im Einkommen- und Grunderwerbsteuerrecht. Das Ministerium räumt zwar ein, dass die Umwandlung einer Lebenspartnerschaft in eine Ehe ein Ereignis /‘. S. v. § 175 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 AO sei. Aber dieses Ereignis habe in diesem besonderen Fall keine Rückwirkung, weil die Lebenspartner schon ab 2013 aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht wie Ehegatten hätten veranlagt werden können, soweit das noch nicht bestandskräftig abgelehnt worden war. Das Bundesfinanzministerium hat deshalb die Finanzämter angewiesen, alle Anträge mit dieser Begründung abzulehnen (vgl. mannschafi.com vom 17. August 2018).
Dieser nach Meinung der fragenstellenden Fraktion abenteuerlichen Interpretation und dem absurden Konzept „eines rückwirkenden Ereignisses ohne Rückwirkung“ hat sich das Finanzgericht Hamburg widersetzt. Es hat im August 2018 ein bahnbrechendes Urteil gefällt und stellte fest, dass die Kläger gemäß §175 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 AO verlangen können, rückwirkend wie Ehegatten zusammenveranlagt zu werden (AZ 1 K 92/18). Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, weil das Finanzgericht die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen hat.

Hier findet sich die Antwort des Bundesregierung zu unserer kleinen Anfrage im Wortlaut: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/048/1904892.pdf