Rede gegen Gewalt an Frauen – Umsetzung der Istanbul-Konvention

Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Elke Ferner, von meiner Fraktion und von mir persönlich: Ganz herzlichen Dank für die gute Zusammenarbeit. Vielen Dank für die vielen Herausforderungen. Es wird eine riesige Lücke bleiben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Istanbul-Konvention ist ein Meilenstein im Kampf gegen Gewalt an Frauen in Europa. Dass die Bundesregierung diesen wichtigen völkerrechtlichen Vertrag in Deutschland ratifiziert, ist überfällig. Wir werden diesem Gesetzentwurf heute zustimmen, auch weil wir Grüne lange darauf gedrängt haben. Effektiver gegen Gewalt gegen Frauen vorzugehen, duldet keinen Aufschub.

Es geht nicht um ein individuelles, sondern um ein gesellschaftliches Problem. Jede dritte Frau in Deutschland wurde bereits einmal Opfer von körperlicher oder sexualisierter Gewalt – Frauen jeden Alters, jeder Schicht und jeder Nationalität. Hinter jeder Statistik, hinter jedem Gewaltszenario, das wir in Zahlen auflisten, verbirgt sich die Angst der betroffenen Frauen, oft sogar die tägliche Angst vor Erniedrigung, vor Verletzung der Würde, vor psychischer oder massiver körperlicher Gewalt.

Ich möchte daran erinnern, dass der Justizminister und auch das Kanzleramt sehr, sehr lange blockiert haben, bevor sie bei der Reform des Sexualstrafrechts überhaupt etwas bewegt haben. Ohne den Druck der Frauenverbände, den frühen Gesetzentwurf meiner Fraktion und ohne die Debatte nach der Silvesternacht in Köln wäre der Entwurf des Nein-heißt-Nein-Gesetzes vermutlich nicht eingebracht worden. Ohne all das wäre auch die Ratifizierung der Istanbul-Konvention kaum möglich gewesen. Darum sage ich Ihnen: Es wäre vermessen, diesen Erfolg als Erfolg der Bundesregierung zu feiern. Das hier ist ein frauenpolitischer Erfolg, und zwar ein ganz wichtiger.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dennoch gibt es Gründe für deutliche Kritik. Meine Vorrednerinnen haben schon viele Punkte genannt. Die Weigerung der Bundesregierung, ein klares Bekenntnis zum Schutz von geflüchteten oder migrierten Frauen und Mädchen abzugeben, die von häuslicher Gewalt betroffen sind oder als Zeuginnen in Strafverfahren aussagen, kann ich nicht nachvollziehen. Sie verweigern ihnen weiterhin ein eigenständiges Aufenthaltsrecht. Deshalb sage ich es ganz klar: Ich fordere Sie auf, Artikel 59 der Istanbul-Konvention endlich vorbehaltlos zu ratifizieren, und zwar schnell. Alles andere wäre nicht glaubhaft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Frauen- und Menschenrechtsverbände mahnen in ihren Stellungnahmen zum Gesetzentwurf weiteren Handlungsbedarf an. Es bedarf einer Gesamtstrategie, einer effektiv gestalteten Koordinierung und eines Monitorings vonseiten des Bundes. Meine Fraktion teilt diese Forderungen.

Was nach wie vor fehlt, sind auch Maßnahmen für eine qualifizierte Notfallversorgung der Opfer, eine gute Ausstattung, systematische Sensibilisierung und Schulungen von Polizei und Justiz. Sie wissen alle, dass es hier Handlungsbedarf gibt. Da könnte aus meiner Sicht die Bundesebene auf die Länder positiv einwirken.

Meine Damen und Herren, die Regierung hat mit dem Hilfetelefon bei Gewalt gegen Frauen eine der Forderungen der Istanbul-Konvention, nämlich die Telefonberatung, umgesetzt – erfolgreich. Das ist erst einmal gut; aber obwohl Sie wissen, dass das nicht reicht, bringen Sie das Hilfetelefon immer als das Vorzeigebeispiel – Punkt, und das war es dann. Was bringt es einer Frau, die dringend einen Schutzraum braucht, wenn sie am Hilfetelefon hört, dass es in ihrer akuten Situation keinen Frauenhausplatz für sie gibt? Nach vier weiteren Jahren kann Ihre Antwort nicht lauten: Dafür sind allein die Länder zuständig. Nach 40 Jahren müssen die Länder, aber auch der Bund endlich gewährleisten, dass allen von Gewalt betroffenen Frauen ein schnellerer, ein sicherer und ein unbürokratischer Zugang zu Frauenhäusern gewährt wird. Darum fordere ich die Bundesregierung auf: Gehen Sie endlich gesamtverantwortlich vor. Tun Sie alles, dass Frauenhäuser, Notrufe und Frauenberatungsstellen finanziell und personell ausreichend ausgestattet werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Länder und Kommunen leisten die schwierige Finanzierung der Frauenhäuser seit Jahrzehnten. Ich betone es ausdrücklich: Hier eine bessere Lösung zu finden, ist eine Mammutaufgabe. Die Frage nach der Zuständigkeit von Bund und Ländern hat ihre Berechtigung, aber nicht, wenn daraus ein Totschlagsargument fürs Nichtstun wird. Wo ein Wille, da ein Weg!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir Grüne haben 2015 zusammen mit der Fraktion der Linken in einem öffentlichen Fachgespräch mit Sachverständigen über Lösungen hinsichtlich einer Bundesbeteiligung und zum Beispiel über einen Rechtsanspruch für Frauen gesprochen. Das ist keine einfache Hürde, die es zu überwinden gilt. Aber wir wollen über solche Lösungen nachdenken; denn wir wollen allen Frauen mit einem sicheren Frauenhausplatz Schutz bieten, unabhängig von Einkommen, Wohnort, Aufenthaltstitel oder Behinderung. Deshalb fordern wir Sie als Bundesregierung und Sie als Koalition auf: Fangen Sie endlich an, Lösungen zu finden. Wir Grüne sind dabei.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hier meine Rede zum Anhören: