Dienstreise: Frauenpolitik in Dänemark und Schweden

Zusammen mit meiner Kollegin Cornelia Möhring (LINKE) war ich vom 30.3. bis 3.4.2017 auf Dienstreise in Dänemark und Schweden. Die Dienstreise hatte einen frauenpolitischen Schwerpunkt, hier ein Bericht.

Montag, 30.01.2017

Ankunft Kopenhagen und Besuch und Gespräch bei KVINFO, einem Forschungs-und Bildungszentrum zu den Themen Frauenrechten, Gleichstellung der Geschlechter und Vielfältigkeit auf nationaler internationaler Ebene. KVINFO sucht den Dialog mit Bürger*innen und im „Tabu-Salon“ wird über Themen wie Glaube und Homosexualität diskutiert. Im Gespräch mit dem Leitungsteam wurde verdeutlicht, dass die Verbesserung der Gleichstellung in Dänemark seit längerem stagniere. Die Haltung zum Thema Gleichstellung habe sich verändert und werde weniger als strukturelles denn als privates Problem gesehen.

Im Anschluss fand ein Besuch bei der Frauenrechts- und Hilfsorganisation „Danner“, inklusive Führung durch das gleichnamige Frauenhaus/Krisenzentrum statt. Im Fokus der anschließenden Fragerunde und Diskussion lagen die Themen Finanzierung und Entwicklung von Gewalt gegen Frauen in Europa, besonders in Dänemark und Deutschland.

In Dänemark gibt es heute 50 sogenannte Krisencenter, von denen 43 in einem Netzwerk organisiert sind. 33.000 Frauen sind jährlich von Gewalt betroffen, doch nur 2000 wenden sich an entsprechende Hilfeeinrichtungen. Das Krisencenter „Danner“ arbeitet seit 33 Jahren am selben Ort und beruht mittlerweile auf drei Säulen: Das Frauenhaus, in dem die akute Krisenbearbeitung stattfindet und in dem 18 Frauen und ihre Kinder Platz finden, den Wissenschaftsbereich/Forschungsbereich zur Wissensvermittlung auf globaler Ebene und einen Projektbereich. Diese drei Säulen werden unterschiedlich finanziert. Das Frauenhaus wird kommunal und über staatliche Mittel finanziert, das Wissenscenter über Spenden und Stiftungen und der Projektbereich zusätzlich über Projektmittel verschiedener Ministerien oder Botschaften im Ausland, so etwa Afghanistan oder Tunesien.

Am Abend führten wir ein Gespräch zur politischen Lage in Dänemark mit der Gesandten Anke und dem Botschaftsmitarbeiter Lasse Rodewald.

 

Dienstag, dem 31. Januar 2017

Beim Besuch der Stiftung für soziale Verantwortung, lernten wir das Projekt Stadtteilmütter kennen. Die Idee wurde aus dem Berliner Bezirk Neukölln übernommen und für dänische Kommunen weiterentwickelt. Zielgruppe sind Frauen mit Migrationshintergrund, die von Frauen aus ihrem eigenen sozialen Umfeld zu Alltagsprobleme beraten werden. So haben die Stadtteilmütter und die Frauen die sie beraten denselben kulturellen Hintergrund und dieselben Erfahrungen gemacht und können zielgerichtet und sensibel unterstützen. Seit ihrer Gründung 2008 ist das Projekt stark angewachsen und es gibt inzwischen in Dänemark 600 ausgebildete Stadtteilmütter mit 54 verschiedenen Nationalitäten in 38 Gruppen landesweit.

Gespräche mit dänischen ParlamentarierInnen Abdsbøl (Vorsitzende des Gleichstellungsausschusses im Folketing), Yildiz Akdogan (stellvertretende Ausschussvorsitzende), Rasmus Horn Langhoff (gleichstellungspolitischer Sprecher der Sozialdemokraten), Carolina Magdalene Maier (gleichstellungspolitische Sprecherin der Alternativen), Karin J. Klint (Sozialdemokratin, Mitglied im Ausschuss für Ausländer und Integration). Im Gespräch behandelten wir insbesondere die dänische Politik hinsichtlich der Prävention und Nothilfe in Gewaltsituationen und darin die digitale Gewalt gegen Frauen. Außerdem sprachen wir über die Situation von Flüchtlingen und AsylbewerberInnen in Dänemark und die gleichstellungspolitische Situation in unseren beiden Ländern.

Im Gespräche mit dem übergeordneten Frauenverband „Kvinderåd“ berichtete Randi Theil Nielsen, die Sekretariatsleiterin, insbesondere über die Projekte zu (digitaler) Gewalt über ihre frauenpolitische Lobbyarbeit. Der Kvinderåd arbeitet ganz ähnlich wie der deutsche Frauenrat und wurde 1899 gegründet. Aktuell arbeitet der Frauenverband zu Auswirkungen der Regierungspläne Kürzungen im Sozialbereich vorzunehmen sowie an der Präsentation des CEDAW Schattenberichtes.

 

Mittwoch, 1. Februar 2017

Nach der Weiterreise von Kopenhagen nach Stockholm fand ein Besuch der Beratungsstelle Mikamottagningen – Beratungsstelle / Sozialdienst – Einheit Prostitution – der Stadt Stockholm statt. Hier finden unabhängig von Geschlecht oder sexueller Identität Frauen, Männer und Transmenschen Gehör, ebenso Angehörige. Hilfesuchende erhalten Unterstützung, praktische Hilfen u.a. im Umgang mit Behörden oder anderen, diversen Problemen wie Aufenthaltsrechte oder Wohnungslosigkeit. Betont wird das individuelle Angebot durch die Beraterinnen sowie einer Hebamme, einer Gynäkologin und einer Psychiaterin.

Es folgte ein Treffen mit Kaj Fölster, einer in Schweden geborene Sozialwissenschaftlerin und Autorin die lange in Deutschland gelebt hat und eine der ersten Frauenbeauftragten der BRD war. Es war ein Austausch über aktuelle Gesetzesvorhaben und frauenpolitische Debatten in Deutschland und Schweden. Aufschlussreich war insbesondere ihre Position zum Umgang Schwedens mit dem Prostituiertenschutz. Trotz der Tatsache, dass im Land seit langem die Freierbestrafung gilt, gibt es kaum Ansätze, eine Evaluation über die Folgen des Gesetzes oder die Wirkung auf das Verhalten von Männern vorzunehmen. Obwohl man sich in Schweden gerne darauf beruft, das erste Land zu sein, welches die Männer in den Mittelpunkt des Gesetzes gestellt habe anstatt die Frauen zu kriminalisieren. Für Kaj Fölster zeigt dies, dass die letztendliche Zielsetzung der Freierbestrafung mehr dem Zweck diene, Prostitution abzuschaffen aber nicht auf eine Haltungsänderung angelegt ist.

 

Donnerstag, 2. Februar 2017

Der Botschafter Dr. Hans-Jürgen Heimsoeth machte bei einem Treffen deutlich, wie sich die Beziehungen zu Deutschland zurzeit – gerade nach den Präsidentschaftswahlen in den USA und dem Brexit Großbritanniens – veränderten. Deutschland kristallisiere sich für den skandinavischen Staat als neues, wichtigstes Partnerland im Bereich Wirtschaft und Handel heraus. Großes Interesse habe die Schwedische Regierung am Austausch über Maßnahmen zur Aufnahme von Geflüchteten und Organisationsstrukturen für den Übergang in den Arbeitsmarkt der „neuen SchwedInnen“. Aufgrund der hohen sozialen Standards sowie der guten Infrastruktur für Familien und Vereinbarkeit habe Schweden eine vorbildhafte Stellung – auch in geschlechterpolitischen Fragen. Der Botschafter benannte aber auch die Kehrseite und die soziale Spaltung in Schweden.

Beim Besuch der Notfallambulanz und Klinik für Vergewaltigungsopfer SÖDERSJUKHUSET – der einzigen Einrichtung in Schweden dieser Art –, erklärte die leitende Ärztin Lotti Helström: rund um die Uhr sei die Klinik besetzt, es gebe vier Stufen der Behandlung, sowohl durch ärztliches als auch psychologisch oder psychotherapeutisch geschultes Personal sowie einen forensischen Teil und Sicherung der Spuren. Auch das Krisen Management, die medizinische Versorgung und die Einbeziehung sozialer UnterstützerInnen wie Familie, seien Teil des Konzepts. Die Daten auf die Lotti Helström verwies machten deutlich, dass sich Schweden beim Thema Vergewaltigung kaum von anderen Ländern unterscheidet. Anders ist es bei den Anzeigen, Gerichtsverfahren und Verurteilungen, denn in Schweden wird effizienter gearbeitet: 20% der angezeigten Vergewaltigungsfälle führen zu Gerichtsverfahren, davon 80% zu Verurteilung. Dies gelingt vor allem aufgrund einer hohen Beweislast. Damit unterscheidet sich Schweden deutlich von der BRD.

Lotti Helström machte deutlich, was in Schweden noch fehle: Schulung und Sensibilisierung von Polizei und Justiz, ein Gesetz für „Ja heißt Ja“, Fortsetzung der Forschungen über menschliches Verhaltensweisen wie der Angststarre und neuer Phänomene wie Vergewaltigung nach Einnahme von KO Tropfen sowie eine umfassende Prävention, gerade mit Blick auf das Risiko einer Reviktimisierung.

Beim Besuch des Schwedischen Reichstags traf ich Annika Hirvonen Falk  von der grünen Fraktion zu einem Austausch grüne Frauen- und Queerpolitik.

Das Frauenintegrationsprojekt LIVSTYCKET und das Gespräch mit der Leiterin und Begründerin Brigitte Notlöf war besonders beeindruckend. Es wurde 1992 von Brigitte Notlöf gegründet mit der Idee, für Migrantinnen und geflüchtete Frauen (zu dem Zeitpunkt v.a. aus dem Kosovo) ein Integrationsangebot zum Erlernen von Sprache in Kombination mit dem Erlernen eines Handwerks anzubieten. Dem Gedanken folgend, dass über das Erwerben von Kompetenzen Empowerment folgt. So sollen Frauen Chancen eröffnet werden für eine gelingende Integration und eigenständige Lebensweise. Dies geschieht bei LIVSTYCKET in Kombination von Unterricht in Schwedisch, Mathe, Gesellschaftskunde und dem Erlernen von Tools zum Erstellen von Bewerbungsunterlagen, Lebenslauf etc.. Ebenso werden im handwerklich-kreativen Bereich Nähen, Sticken oder Textildruck erlernt. Die produzierten Textilien werden in einem eigenen Laden und über Kunsthandwerkgeschäfte sowie über das Internet verkauft. 2014 haben 189 Migrantinnen an den Programmen von LIVSTYCKET teilgenommen. Die Teilnehmerinnen sind in 5 Gruppen je nach beruflicher und sprachlicher Qualifikation eingeteilt. Diejenigen, die durch Erlebnisse im Heimatland oder der auf der Flucht traumatisiert sind, erhalten nach Bedürfnis auch psychologische Betreuung.

 

Freitag, 3.Februar 17

Beim Besuch der Erstaufnahme / Flüchtlingsunterkunft und Migrationsdienststelle in Märsta, in der Nähe von Stockholm erhielten wir einen Einblick in gut ausgestattete leerstehende Unterkünfte für Neuankommende, die nach wenigen Tagen aus der Erstaufnahme in andere Unterkünfte ziehen, sofern ihre Aufenthaltsprüfung positiv ausfällt. Ein Asylverfahren dauert im Schnitt 450 Tage. Besonders traumatisierte Menschen, oft Frauen und LGBTI, werden von dem geschulten Personal befragt und darüber aufgeklärt, dass sexualisierte Gewalt als Asylgrund gilt. Es wird keine Statistik über Asylgründe geführt, da die Einhaltung von Datenschutz hoch bewertet wird.