Rede zur Stärkung der Kultur im ländlichen Raum

Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Die Sicherung des kulturellen Angebots im ländlichen Raum ist ein wichtiges Thema. Die Problembeschreibung im Antrag der Koalition ist grundsätzlich richtig. Kulturinstitutionen sind als Orte der Begegnung unverzichtbar und tragen entscheidend zur sozialen Teilhabe und Identifikation mit dem direkten Lebensumfeld bei.

Angesichts knapper Haushaltskassen wird aber oft bei den freiwilligen Leistungen gespart. Darunter sind leider viele kulturelle Angebote. Der Wegfall eines Bücherbusses, ein geschlossenes Programmkino oder ein weggekürztes soziokulturelles Zentrum bedeuten weniger Bildung, weniger Information und einen Verlust von gesellschaftlicher Teilhabe vor Ort. Um den Erhalt der kulturellen und sozialen Infrastruktur nicht nur im ländlichen Raum langfristig zu sichern, braucht es zunächst dauerhaft eine finanzielle Entlastung von strukturschwachen Kommunen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Genau das fordern wir in unserem aktuellen Antrag „Dauerhafte und strukturelle Entlastungen für Kommunen in Not“. Hier muss die Bundesregierung endlich tätig werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Außerdem sind eine abgestimmte demografische Gesamtstrategie und nachhaltige Konzepte für den Erhalt der kulturellen Infrastruktur gefragt. Denn viele ländliche Räume, beispielsweise im Nordosten Brandenburgs, im Norden Sachsen-Anhalts oder in weiten Teilen Mecklenburg-Vorpommerns, stehen vor existenziellen Herausforderungen beim Erhalt der sozialen und kulturellen Infrastruktur vor Ort. Hier brauchen wir dringend Lösungen unter Einbeziehung aller politischen Ebenen; denn um beispielsweise den Zugang zu Kulturangeboten im ländlichen Raum dauerhaft zu sichern, sind gute Mobilitätsansätze notwendig.

Erst letzte Woche hat die Bundesregierung im Rahmen ihres Strategiekongresses Demografie allerdings erneut verpasst, dieses Problem endlich umfassend anzugehen. Was macht sie stattdessen? Uninspiriert und wenig engagiert verwaltet sie ihre sogenannte Demografiestrategie. Warum sonst wurde aus dem ursprünglich für den Sommer groß geplanten Demografiegipfel ein kleiner geschrumpfter Strategiekongress im Herbst?

Ich sage Ihnen: Nicht zuletzt aufgrund der aktuellen Zuwanderung von geflüchteten Menschen, von denen viele bleiben werden, muss hier dringend viel mehr passieren, und zwar im positiven Sinne; denn es ist ja keinesfalls neu, dass Einwanderung neben Alterung und dem Rückgang der Bevölkerung eine entscheidende Komponente für demografische Entwicklung ist. Bisher beschäftigt sich aber lediglich eine von zehn Arbeitsgruppen des Strategiekongresses Demografie mit Einwanderung. Das reicht nicht. Das müsste auch Ihnen klar sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch das Potenzial von Kultur bei der Bewältigung aktueller und zukünftiger demografischer Herausforderungen spielt im Rahmen der Demografiestrategie der Bundesregierung bisher fast gar keine Rolle. Einerseits fordern Sie in Ihrem Antrag eine zukunftsweisende Kulturpolitik im demografischen Wandel, andererseits haben Sie es leider verpasst, hierzu konkrete Forderungen zu stellen. Außerdem fehlt mir ein nachhaltiges Konzept zur Stärkung der kulturellen Infrastruktur im ländlichen Raum. Eine Modellförderung hier oder ein Preis da, das sind erste wichtige Schritte. Aber langfristige Antworten sehen aus meiner Sicht anders aus. Da müssen Sie, finde ich, schon den Mut aufbringen, sich an die grundsätzlichen Fragen heranzuwagen und etwas zu ändern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zwei Aspekte möchte ich konkret ansprechen. Es wäre sinnvoll, zum einen wirklich ernsthaft über das Staatsziel Kultur zu sprechen und zum anderen die Kulturförderung des Bundes grundsätzlich zu überarbeiten und sie an die neuen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen anzupassen. Hierzu finde ich in Ihrem Antrag nichts.

Noch ein wichtiger Punkt – er wurde schon mehrfach genannt –: Die Forderung nach ehrenamtlichem Engagement ist ein sinnvolles Vorhaben; das unterstützen auch wir ganz grundsätzlich. Aber dies als wichtigsten Schritt zur Stärkung der Kultur im ländlichen Raum zu bezeichnen, wie es die Kollegin Freudenstein in ihrer Rede bei der ersten Lesung, die zu Protokoll gegeben wurde, getan hat, kann es wirklich nicht sein. Wenn Sie den Leuten, die im Ehrenamt tätig sind, sagen: „Macht ihr die Kulturpolitik im ländlichen Raum, wir als Politik ziehen uns daraus zurück; ihr macht die Arbeit, aber wir stellen keine Finanzierung zur Verfügung“, dann ist das das falsche Signal.

(Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Sie haben das Problem nicht verstanden!)

Dann können Sie nicht ernsthaft sagen, das sei der wichtigste Schritt zur Stärkung der Kultur im ländlichen Raum. Da bin ich Burkhard Blienert dankbar, der sagt: Hier brauchen wir eine Balance, einen Ausgleich. Das darf nicht nur ein Signal an die Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtler sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Stattdessen möchte ich – darauf lege ich ganz besonders großen Wert – für die Stärkung der Soziokultur plädieren. Das ist ein Punkt, auf den Sie Ihren Blick nicht richten. Tatsächlich ist es so, dass viele geflüchtete Menschen auch im Kulturbereich nachhaltige Teilhabemöglichkeiten in soziokulturellen Zentren bekommen können. Sie ermöglichen umfassende Partizipation für Menschen jedes Alters, jeder Nationalität und jeder Herkunft. Sie alle sind in soziokulturellen Zentren richtig aufgehoben. Hier steht eine große Bandbreite an künstlerischen Angeboten und Aktivitäten zur Verfügung, gerade auch im ländlichen Raum. Notwendig ist deshalb eine nachhaltige Erhöhung und Sicherung der Mittel für die Soziokultur, für die Stärkung gesellschaftlicher Teilhabe durch Kulturangebote für alle.

Vielen Dank.

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