Gratulation an Swetlana Alexijewitsch zum Literaturnobelpreis

Zur Bekanntgabe der Verleihung des Literaturnobelpreises an Swetlana Alexijewitsch erklären Marieluise Beck, Sprecherin für Osteuropapolitik, und Ulle Schauws, Sprecherin für Kulturpolitik und Frauenpolitik:

Wir gratulieren der weißrussischen Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch zum Literaturnobelpreis. Mit ihr wurde zum 14. Mal seit 1901 eine Frau mit der weltweit höchsten Literaturauszeichnung geehrt. In einzigartiger Weise widmet sie sich der Dechiffrierung der sowjetischen und nachfolgenden Gesellschaft. Wie eine Übersetzerin öffnet sie für uns das Verständnis für die Menschen und Gesellschaften im postsowjetischen Raum.

In ihren Büchern gibt sie den Opfern des zweiten Weltkriegs, des Afghanistankriegs, des Stalinismus, von Tschernobyl und ihren Familien eine Stimme. Das war schon zu Sowjetzeiten unerhört, weil sie damit das sozialistische Idealbild eintrübte. Sich selbst zurücknehmend zeichnet ihr Werk ein Bild vom homo sovieticus, den 70 Jahre Sozialismus nachhaltig bis heute veränderten.

Ohne die Menschen zu verurteilen, geht sie diesem Phänomen auf den Grund und versucht zu verstehen, warum in den post-sowjetischen Gesellschaften autoritäre Machthaber wie die Präsidenten Weißrusslands und Russlands immer noch Anklang finden und Freiheit und Demokratie vor allem als Wagnis empfunden werden. Eindrucksvoll beschrieb sie im vergangenen Jahr ihre eigene intellektuelle Vereinzelung, während die russische Gesellschaft im nationalen Rausch der Krim-Annexion Putins Propaganda verfiel und befremdliche Kriegsrhetorik an den Tag legte.

Einen besonderen Platz räumt Swetlana Alexijewitsch in ihren Büchern stets den Frauen, Müttern, Schwestern und Töchtern ein. Obwohl Frauen in der Sowjetunion formal gleichberechtigt waren, sind sie damals wie heute von ihrer tatsächlichen Gleichstellung noch weit entfernt.

Wir freuen uns für Swetlana Alexijewitsch über diese höchste Adelung ihres überragenden Werkes und wir freuen uns auf die Bücher, mit denen sie in der Zukunft sicher noch ihr Werk erweitern wird.