Rede zur Provenienzforschung am 06.02.2015

Unten findet sich die Rede von Ulle Schauws zum Thema „Provenienzforschung“.

Das Wort hat die Kollegin Ulle Schauws für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! 2015 jährt sich zum 70. Mal das Ende des Zweiten Weltkriegs und damit auch das Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Dieser Teil unserer Geschichte beeinflusst auch heute noch unsere Gegenwart.

Gerade im Bereich des Kunstmarktes sind die Folgen der NS-Enteignung bis heute sehr präsent. Der Verbleib vieler Kunst- und Kulturgegenstände, die von ihren Eigentümerinnen und Eigentümern zwischen 1933 und 1945 aufgrund nationalsozialistischer Verfolgung unfreiwillig verkauft, abgepresst, enteignet, beschlagnahmt oder gestohlen wurden, ist unzureichend aufgearbeitet. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Zum Teil hat sich der Kulturbetrieb unwissentlich, zum Teil aber auch bewusst bislang unzureichend mit der Zeit des Nationalsozialismus und der Problematik des verfolgungsbedingten Entzugs von Kulturgütern befasst. So gesehen ist es eigentlich ein Glücksfall, dass der Kunstfund in Privatbesitz von Cornelius Gurlitt die Diskussion über das Thema Provenienzforschung, die wir seit Ende 2013 führen, neu entfacht hat. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir jetzt diese Chance nutzen. Wir müssen uns im Bereich der Provenienzforschung den Problemen stellen und beim Umgang mit NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern faire und gerechte Lösungen für alle Beteiligten finden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, mit der Washingtoner Erklärung hat sich Deutschland 1998 international verpflichtet, zur Provenienzforschung und Restitution beizutragen. Auch wenn diese Absichtserklärung für die öffentliche Hand keine Gesetzeskraft hat, sie fordert doch zum politischen Handeln auf. Ich meine, die Umsetzung darf nicht allein vom Wohlwollen öffentlicher Einrichtungen abhängen. Das wird dem Geist der Erklärung nicht gerecht. Hier sind Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, in der Pflicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE])

Wir haben darüber hinaus eine moralische Verpflichtung, die weit über den öffentlichen Bereich hinausgeht. Auch wenn Private von den internationalen Verabredungen nicht tangiert sind, können und dürfen auch sie, die privaten Kunstsammlerinnen und Kunstsammler, die privaten Kunsthändlerinnen und Kunsthändler und auch die Auktionshäuser, sich einer moralischen Verantwortung nicht entziehen.

Durch die Gründung des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste Anfang dieses Jahres in Magdeburg soll die Provenienzforschung in Deutschland weiter gestärkt werden. Eine Bündelung der bisherigen Aktivitäten ist sinnvoll – deshalb unterstützt meine Fraktion die Gründung dieses Zentrums ganz ausdrücklich –, aber allein mit einer Bündelung der Aktivitäten ist es eben nicht getan.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was wir brauchen, sind systematische Koordination und Strukturierung und vor allem ein Ausbau der Provenienzforschung. Eine bloße Zusammenlegung von Strukturen ist noch keine Stärkung. Es dabei zu belassen, wäre eine Pseudoinitiative der Bundesregierung. Das neue Zentrum muss am Ende des Tages auch einen Mehrwert bringen. Es geht um wirkliche Professionalisierung der Provenienzforschung und vor allem um den Abbau der Informationsdefizite hinsichtlich der Grundsätze der Washingtoner Erklärung, insbesondere in den Ländern und Kommunen und den Museen dort.

Was wir in den Museen brauchen, ist mehr Verbindlichkeit bei der Erforschung der Provenienz von Exponaten. Wir brauchen eine bessere personelle Ausstattung, und an den Universitäten müssen mehr Fachleute im Bereich Provenienzforschung ausgebildet werden. Das wäre konsequent, um die steigenden Bedarfe decken zu können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Forscherinnen und Forscher dürfen bei ihren wichtigen Arbeiten nicht behindert werden. Zugangshemmnisse bei Quellen, Archiven, Nachlässen und Forschungsergebnissen müssen abgebaut werden.

Was bleibt, ist das schwierige Terrain der privaten Sammlungen. Hier gilt es, Anlaufstellen zu schaffen und, ebenso wie im öffentlichen Bereich, Informationsdefizite abzubauen. Es sollte auch die Einführung eines Fonds geprüft werden, durch den in berechtigten Fällen die Provenienzforschung im Privatbereich unterstützt werden kann. Rechtlich sollte der gutgläubige Erwerb auf gesetzliche Auktionen beschränkt werden, und der Eigentumserwerb durch Ersitzen ist zu erschweren.

Aber nicht nur im Kunstmarkt sehen wir uns mit der Frage nach der Provenienz konfrontiert. Wie steht es um die Sorgfaltspflicht bei der Provenienzprüfung in anderen Bereichen? Ich sage Ihnen: Verbleib von Kunst- und Kulturgut zum Beispiel von Sinti und Roma oder Homosexuellen ist bislang kaum beachtet worden. Auch die Aufarbeitung von Kulturgutverlusten jenseits des NS-verfolgungsbedingten Entzugs, wie zum Beispiel in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR, muss verstärkt und gefördert werden.

Es gilt, allen, denen Kulturgut entzogen wurde, die gleichen Grundlagen zur Aufarbeitung zu gewährleisten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Dies gilt für NS-Raubkunst ebenso wie für kriegsbedingt verlagerte Kunst- und Kulturgüter, aber auch für Objekte, die aus kolonialen Unrechtskontexten stammen oder für die Bestände aus archäologischen Raubgrabungen. Die Provenienzforschung wird uns in den großen Debatten, wie über das Humboldt-Forum und die Reform des Kulturgüterrückgabegesetzes, weiter begleiten. Die Provenienzforschung gehört zur Sorgfaltspflicht bei der Vermittlung von Kunstobjekten und muss eine Selbstverständlichkeit sein.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)