Rede zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes

Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden hier im Bundestag in den letzten Wochen viel und oft über das Thema der sexuellen Selbstbestimmung. Gerade im Rahmen der Reform des Sexualstrafrechts ist das ein sehr zentraler und wichtiger Punkt. Da sind wir uns hier in diesem Parlament – vor allem die Frauen – ziemlich einig. Umso mehr ist es für mich unverständlich, dass im Falle der Prostituierten bei der sexuellen Selbstbestimmung andere Maßstäbe angelegt werden. Warum stellen Sie die Selbstbestimmung von Prostituierten infrage? Denn das machen Sie mit diesem Gesetzentwurf, Frau Ministerin.

Diesem Entwurf liegt eine bevormundende Haltung zugrunde, die allen Frauen und Männern in der Prostitution die Selbstbestimmung abspricht. Ich sage Ihnen, dieser Gesetzentwurf ist Ausdruck von Bevormundung und Kontrolle. Sie verändern damit genau nicht, was Sie vorgeben, ändern zu wollen. Sie setzen die Stigmatisierung der Stigmatisierten fort, Frau Schwesig. Sie versäumen es, das wirklich Notwendige zu tun, nämlich die Menschen, die in der Prostitution arbeiten, zu bestärken und zu unterstützen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Frauen, die sexuelle Dienstleistungen anbieten und die so zum Beispiel ihre Kinder ernähren oder die Pflege eines Familienmitglieds mit diesem Job vereinbaren, sind nach Ihrem Gesetzentwurf gezwungen, sich zu outen, oder sie können diese Tätigkeit nicht mehr legal ausüben. Aber das ist doch, bitte schön, kein Schutzgesetz. Das ist die Bevormundung einer ganzen Berufsgruppe. Genau aus diesem Grund, liebe Kolleginnen und Kollegen, bestehen schwerwiegende Bedenken gegen die Punkte des Gesetzentwurfs, mit denen Druck auf die Prostituierten ausgeübt wird: die Anmeldepflicht – sie ist schon genannt worden -, die verpflichtende Gesundheitsberatung und auch die behördlichen Anordnungen, die in diesem Gesetzentwurf stehen.

Bei den Anhörungen im Bundesministerium haben etliche Fachleute – unter anderem der Diakonie, des Deutschen Frauenrates, des Deutschen Juristinnenbundes und der Deutschen Aids-Hilfe sowie Medizinerinnen und Mediziner – früh davor gewarnt, den Zwang zum Outing in diesen Gesetzentwurf hineinzuschreiben, weil das kontraproduktiv ist. Die Caritas hat den Gesetzentwurf – ich zitiere – mit folgenden Worten konterkariert:

Das geht an der Lebensrealität von Prostituierten vorbei. Expertenmeinungen und Erfahrungen aus der praktischen Arbeit haben kaum bemerkbar Eingang in den Gesetzentwurf gefunden.

Dem, was die Caritas sagt, schließe ich mich an. Ihr Gesetzentwurf ignoriert Fachwissen, und das ist unprofessionell.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Frau Schwesig, bei der Anmeldepflicht ignorieren Sie, dass sich die Prostituierten gerade aufgrund von Diskriminierungserfahrungen erstens häufig nicht als „Prostituierte“, sondern mit anderen Berufsbezeichnungen anmelden und zweitens Misstrauen wegen des fehlenden Datenschutzes haben. Und was machen Sie? Sie schaffen eine eigene Datei für Prostituierte. Die Folge – das wurde heute schon sehr oft gesagt – ist klar: Viele werden sich nicht anmelden, und dann haben Sie nichts erreicht. Das schützt Prostituierte nicht. Nein, es sind viele erst recht gefährdet, wenn sie nicht legal arbeiten können.

(Zuruf des Abg. Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU))

– Ja, so ist es, Herr Weinberg.

(Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Damit sie sichtbar sind!)

Die irrige Vorstellung, mit der verpflichtenden Gesundheitsberatung Opfer von Menschenhandel entdecken zu können, kommt genau daher, dass Sie den vielen Expertinnen nicht zugehört haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Armutsprostituierte, die in schwierigen Lebenslagen stecken und besonders gefährdet sind, werden sich während eines Gesprächs in einer Behörde doch nicht einer völlig fremden Person anvertrauen.

(Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Was machen denn heute die, die gefährdet sind?)

Das braucht Zeit, und es funktioniert nur freiwillig. Es geht nur freiwillig, Herr Kollege.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Der Cousin aus Belgrad ist mit dabei!)

Wie Ihnen bekannt sein sollte, äußert auch der Bundesrat in seiner Mehrheit deutlich Kritik. Er stellt die Forderung auf, die Paragrafen 3 bis 11 zu streichen. Und, ehrlich gesagt, ich finde, das können Sie nicht so einfach ignorieren. Auch bei der Erlaubnispflicht, die wir Grünen schon im Januar gefordert hatten – wir halten sie grundsätzlich für sinnvoll -, gibt es eine Einschränkung, die ich Ihnen nennen will. Sie legen für kleine Wohnungsprostituierte die gleichen Voraussetzungen an wie für große Laufhäuser. Gerade dort, wo sich zwei bis drei Frauen zusammentun, wo sie oft unter guten Arbeitsbedingungen arbeiten, erschweren Sie die Existenz für diese Prostituierten. Aus meiner Sicht macht das überhaupt keinen Sinn.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Gesetz sollte Menschen in der Prostitution in ihrer Selbstbestimmung stärken. Wir Grüne fordern deutlich mehr Beratungsstellen. Wir fordern Unterstützung für die Prostituierten, und zwar auf freiwilliger Basis. Runde Tische nach dem Vorbild von NRW sind sinnvoll. Vor allem bringen sie Erfahrungen und Kompetenzen von allen Beteiligten an einem Tisch zusammen. Ich appelliere an Sie: Nutzen Sie die Anhörung nächste Woche zum Gesetzentwurf. Nutzen Sie die Expertise, die vorhanden ist. Und: Bessern Sie nach. Legen Sie einen Gesetzentwurf vor, der echte Unterstützung und Schutz für Prostituierte beinhaltet.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)