Fachgespräch Wer will die Uhr zurückdrehen? Strategien gegen Anti-Feminismus und Homophobie

Auf Einladung der grünen Bundestagsfraktion diskutierten am Samstag, 9. Mai 2015 etwa 200 Gäste aus Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft über Strategien gegen Antifeminismus und Homophobie. Im Anschluss lud die grüne Bundestagsfraktion gemeinsam mit der grünen Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin zu dem traditionellen Parlamentarischen Regenbogenabend ein.

 
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© Claudia Kristine Schmidt

Panel 1: Europaweite Vernetzung

Zu Beginn referierte der Journalist Peter Gerhardt über Strategien der Anti-Emanzipationsbewegungen in Europa. Mit Sequenzen seiner TV-Doku „Gleiche Liebe – Falsche Liebe?!?“ widerlegte er menschenfeindliche Behauptungen, die eben nicht von einer „schweigenden Mehrheit“ getragen werden. In Frankreich habe es Großdemos gegen Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare gegeben, 80 Prozent der BürgerInnen befürworteten aber die Gleichstellung. In Deutschland sei Widerstand auch ein „Fluch des Erfolges“ fortschrittlicher Gesetzgebung. GegnerInnen kämen vor allem aus drei Gruppen: die Religiös- beziehungsweise Politisch-Motivierten sowie PublizistInnen. Finanzquellen von Kampagnen wie der „Zivilen Koalition“ seien oft intransparent. Öffentlich geworden sei dagegen die massive finanzielle Stützung des Kreml für den französischen „Front National“.

Kai Gehring, Sprecher für Hochschule, Wissenschaft und Forschung, beschrieb den Werte-Kampf: „Unsere Werte? Die Gleichwertigkeit aller Menschen und die Wertschätzung von Vielfalt! Die neuen Reaktionäre vertreten Menschenfeindlichkeit, sie hetzen und hassen.“ Daher sei wichtig: „Schaffen wir den vollständigen Durchbruch zu gleichen Rechten und gleicher Freiheit oder erobern reaktionär-religiöse, ultrakonservative, rechtsextreme Milieus Boden zurück?“ Queer- und genderfeindliche Agitation hätten sich verschärft.

Gerhardt und Gehring unterstrichen: „Diskretion ist keine Lösung“ und plädierten für offensive Auseinandersetzungen. Emanzipatorische Ziele müssten öffentlich begründet, Freiheiten verteidigt werden. In einer Doku-Sequenz beschrieb dies der Sozialwissenschaftler Louis Georges Tin so: „Die Demokratie ist ein immerwährender Kampf.“

Panel 2: Angriffe auf Gender-Konzepte

Im zweiten Teil des Fachgesprächs diskutierte Ulle Schauws, frauenpolitische Sprecherin der Fraktion, mit der Frauen- und Geschlechterforscherin Sabine Hark und der Netzfeministin und Aufschrei-Initiatorin Anne Wizorek über die Angriffe gegen den Feminismus, die Gender-Forschung und Gender Mainstreaming. Diese Angriffe gibt es, das bestätigten beide. Ob es eine Zunahme, zusammen mit dem Erstarken von AfD und Pegida gibt, war dagegen nicht so eindeutig. Denn feministische Positionen haben auch in der Vergangenheit Gegenwehr hervorgerufen. Damit werden die „patriarchalen Tiefenstrukturen“ (Hark) unserer Gesellschaft angegriffen – und das löst eben Affekte aus. Wizorek zitierte das Mantra der Netzkultur „don´t read the comments“. Ebenso wie Feministinnen sich über das Netz austauschen und zusammenschließen, kommt auch die Gegenwehr mit digitalen Mitteln daher und flutet die Kommentarspalten.

Beide Diskutantinnen sahen eine mediale Schieflage, so fänden sie sich bei Talkshows zu feministischen Themen oft mit Antifeministinnen an einem Tisch – anstelle mit Feministinnen mit unterschiedlichen Ansichten. Viel Energie wird daher in reinen Schlagabtausch anstelle in inhaltliche Debatten investiert.

Häufig heißt es, Gender Mainstreaming sei die Umsetzung der Gender-Theorien. Was völlig falsch ist, denn Gender Mainstreaming heißt, die Auswirkungen politischen- und Verwaltungshandelns auf Männer und Frauen zu analysieren und gegebenenfalls das Handeln zu verändern. In der Debatte mit dem Publikum wurden mehr Vernetzung und breite Bündnisse eingefordert. Nicht weitere Gesetze wären nötig sondern häufig eher mehr Zivilcourage.

Panel 3: Sexualaufklärung

Beate Walter-Rosenheimer, Sprecherin für Jugendpolitik der Bundestagsfraktion, moderierte die nächste Diskussion über die Wichtigkeit von Sexualaufklärung und die Herausforderungen an die beteiligten AkteurInnen. In kurzen Inputreferaten berichteten Prof. Dr. Daphne Hahn, Professorin für Gesundheitswissenschaften und empirische Sozialforschung an der Hochschule Fulda und Vorsitzende der pro familia, Laurel Braddock, ehrenamtliche Beraterin beim Projekt In&Out des Jugendnetzwerks Lambda, sowie Detlef Mücke von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) über ihre Erfahrungen aus der Praxis in Schulen, mit Jugendlichen, Eltern und LehrerInnen.

Doch worum ging es genau?

Die Gegner einer aufgeklärten Gesellschaft scheinen sich in den vergangenen Monaten zunehmend erfolgreich zu organisieren: Sie formieren sich, um Bildungspläne, Aufklärungskampagnen und fundierte Sexualaufklärung an Schulen zu verunglimpfen und als „Verbrechen“ an unseren Kindern zu brandmarken. Einen Höhepunkt stellte die Petition gegen den Baden-Württembergischen Bildungsplan aus dem Jahr 2014 dar. Mehr als 192.000 Menschen sprachen sich gegen die Thematisierung vielfältiger Lebensformen im Schulunterricht aus. Seitdem organisieren verschiedene vielfaltsfeindliche gesellschaftliche Gruppen mit teilweise prominenter Unterstützung durch konservative MedienvertreterInnen Proteste und Demonstrationen mit dem absurden und zugleich zentralen Argument eine „Frühsexualisierung“ der Kinder verhindern zu wollen.

Die GegnerInnen einer vielfältigen Gesellschaft arbeiten mit dem bewussten Stiften von Verwirrung, von Vernebeln von Realität. Sie vermischen Begriffe wie Gender, Sexualaufklärung, Erziehung zu Toleranz und Akzeptanz verschiedener Lebensformen ganz bewusst und entziehen sich dadurch jeder rationalen Diskussion über die Lösung tatsächlich existierender Probleme wie einer vielfach erhöhten Suizidrate homosexueller Jugendlicher oder Mobbing gegenüber Trans-Jugendlichen auf Schulhöfen. Beabsichtigt wird die Rück-Besinnung auf ein rein heteronormatives Weltbild.

Es wird der ernstzunehmende Versuch unternommen, mit diesen kruden Gedanken und Argumentationsketten die Mitte der Gesellschaft zu erreichen und zu infiltrieren.

Dabei entsteht ein Ausmaß an Protest und auch Hass gegenüber PädagogInnen, SexualwissenschaftlerInnen und PolitikerInnen, wie es für progressive Menschen mit einem aufgeklärten Gesellschaftsbild kaum nachzuvollziehen ist. Immer wieder wird die Forderung laut, das Recht auf Sexualaufklärung alleinig den Eltern zuzugestehen und damit die Schulen auszuschalten. Das darf nicht sein, darin sind sich alle ExpertInnen einig, denn nicht jede Familie kann und will in Sachen Sexualaufklärung leisten, was Schulen und SozialpädagogInnen leisten können. Öffentliche Prüderie führt zu Unkenntnis der Jugendlichen über eigene Bedürfnisse, Entdeckung der eigenen Sexualität, Erlernen von sexueller Vielfalt. Aufklärung braucht es gerade im Internetzeitalter gewissermaßen als Ordnungsraum für Kinder und Jugendliche. Sie stärkt und schützt sie vor Fremdbestimmung und Übergriffen.

Als Beispiele aus der pädagogischen Praxis und zur dringend gebotenen Entmystifizierung des Themas stellten Joachim Schulte (Queernet Rheinland-Pfalz) und Conny Hendrik Kempe-Schälicke aus der Berliner Senatsverwaltung für Bildung die in der konservativen Presse als „Sexkoffer“ diffamierten Mediensammmlungen über vielfältige Lebensformen für Kitas und Grundschulen vor. In den Koffern findet sich keinerlei kontroverses Anschauungsmaterial sondern altersgerechte Bücher zum Thema Vielfalt.

Panel 4: Umdeutungsversuche der EmanzipationsgegnerInnen

In dem letzten Panel „Gleiche Rechte als Sonderrechte – die Umdeutungsversuche der EmanzipationsgegnerInnen“ berichteten Dr. Anna Katharina Mangold, LL.M, und Kriss Rudolph, Chefredakteur des Magazins MÄNNER.

Dr. Mangold zeichnete die verfassungsrechtlichen Auseinandersetzungen um gleiche Rechte nach: Vom Kampf der Frauen darum, ohne Erlaubnis des Mannes arbeiten zu können über Klagen gegen das Transsexuellengesetz bis hin zu Klagen gegen Eheverbot für Homosexuelle. Kämpfe marginalisierter Gruppen um soziale Anerkennung und gleiche Rechte werden von gegnerischer Seite oft mit dem Argument der vermeintlichen Natürlichkeit der Gegebenheiten begegnet. („Nur die Ehe zwischen Mann und Frau ist natürlich“ oder „Es ist gegen die Natur, dass Mütter nicht bei ihren Kindern sind“.) Über die Natürlichkeit wird versucht, Sonderrechte zu begründen – wie das Sonderrecht auf Lebenspartnerschaft statt das gleiche Recht auf Ehe. Dabei ist klar: Es geht um die Anerkennung von Gleichheit und die kann nichts anderes bedeuten, als gleiche Rechte. Das Manuskript von Frau Dr. Mangold finden Sie unter: http://www.jura.uni-frankfurt.de/55578512/Mangold_-Gleiche-Rechte-als-Sonderrechte.pdf

Kriss Rudolph betonte, wie sehr die Debatte um gleiche Rechte für Homosexuelle von Unwahrheiten und Bigotterie geprägt ist. Nicht wenige, die, wie der baden-württembergische CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf finden, die Schöpfung wäre darauf ausgerichtet, dass Männer und Frauen gemeinsam Kinder bekommen, haben selbst keine. Was für sie selbst okay ist, wird bei Homosexuellen zum Problem stilisiert. Am Beispiel von Birgit Kelle machte Rudolph die Umdeutungsversuche der EmanzipationsgegnerInnen deutlich. Nicht die Homosexuellen sondern die Heterosexuellen werden als das neue Opfer von Diskriminierung erfunden, das vermeintliche Recht homophobe Äußerungen zu tätigen als „Meinungsfreiheit“ gelabelt.

Parlamentarischer Regenbogenabend

Nach dem Fachgespräch lud die Bundestagsfraktion gemeinsam mit der grünen Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin zu dem traditionellen Parlamentarischen Regenbogenabend ein. Volker Beck und Ulle Schauws, die für die Lesben- und Schwulenpolitik der Grünen Bundestagsfraktion zuständig sind, begrüßten die etwa 300 anwesenden Gäste aus Partei, zivilgesellschaftlichen Organisationen, Vereinen und Verbänden.

Respekt für Lesben, Schwule, Bi-, Trans- und Intersexuelle ist tief verankert in der „Grünen DNA“: Volker Beck und Ulle Schauws erinnerten an die Kämpfe um Vielfalt und Gleichberechtigung, die wir – Grüne und Zivilgesellschaft – in den letzten Jahrzehnten gemeinsam bestritten haben.

Die Vorsitzende des Bundestagsfraktion, Katrin Göring-Eckhard, erinnerte in ihrem Grußwort daran, dass die EmanzipationsgegnerInnen von „besorgten Eltern“ bis hin zum konservativen Feuilleton nicht von christlichen Werten oder Sorge um das Kindeswohl getrieben sind, sondern von Ignoranz und Intoleranz. Sie stellte klar: Wir sind stolz, zur Homolobby zu gehören!

Anja Kofbinger, Frauen- und Queerpolitische Sprecherin der Berliner Abgeordnetenhausfraktion, betonte, dass die Grünen auch weiterhin Bewegung in Diskussionen um Vielfalt, Toleranz und Gleichstellung bringen werden: Durch queerpolitische Anträge und Gesetzentwürfe, durchs Auf-die-Straße-gehen oder zum Beispiel durch die neu begonnene Veranstaltungsreihe „Vielfalt konkret.“

Gastredner Wieland Speck, Filmemacher und Programmleiter der Sektion „Panorama“ der Internationalen Filmfestspiele Berlin, zeichnet die Entwicklung in der schwul-lesbischen Filmszene nach. Immer mehr queere Filme zeigen die Vielfalt der Gesellschaft auch auf der Leinwand. Diese Filme können dabei als Kampfmittel, die gesellschaftlich etwas bewirken können, verstanden werden.

In weiteren Gesprächen wurde daran erinnert, was noch vor uns liegt: Die Eheöffnung, die Rehabilitierung und Entschädigung der nach § 175 und § 175a StGB wegen homosexueller Handlungen Verurteilten, die Unterstützung von LBGT-Flüchtlingen und die Durchsetzung von LGBT-Rechten weltweit. Unsere Botschaft ist klar: die Stillstandspolitik der Großen Koalition kann uns nicht aufhalten und wir werden uns weiterhin einsetzen für rechtliche Gleichstellung und gesellschaftliche Akzeptanz. Vielleicht ist der Widerstand gegen Vielfalt, Akzeptanz und Gleichberechtigung größer geworden, aber wir sind auch mehr geworden! – könnte das Fazit der beiden Veranstaltungen lauten.